Die Frau als unsichtbares Wesen in der Medizin
Frauen haben grundsätzlich mehr Schwierigkeiten, eine gute medizinische Versorgung zu erhalten als Männer. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Überlastung durch Reproduktionsarbeit, mangelnde Präventionsangebote in unterschiedlichen Sprachen und durch eine geringere Anzahl an medizinischen Einrichtungen, die auf Gendermedizin/Frauenheilkunde spezialisiert sind.
Frauen unterliegen auch hier dem kapitalistischen System zu Beispiel in Form von hohen Kosten für Verhütungsmittel und Menstruationsartikel, fehlender wissenschaftlicher Forschungen über den biologischen Körper der Frau, was bis heute dazu führt, dass Frauen früher sterben, Herzinfarkte nicht erkannt werden und Medikamente verschrieben bekommen, deren Wirkung bei Frauen nicht vorhanden sind oder bei denen das Risiko von Nebenwirkungen höher ist als der Nutzen.
Der Mann ist in der Forschung die Norm
Bevor Medikamente an Menschen getestet werden, finden Tierversuche mit meist männlichen Mäusen statt. Die Forscher befürchten, dass der weibliche Hormonzyklus die Testergebnisse beeinflussen könne und sehen deshalb meist von Versuchen an weiblichen Tieren ab.
Trotzdem werden aus dieser Forschung Behandlungsempfehlungen für Männer und Frauen abgeleitet. Die Daten zu den Unterschieden werden nach und nach zwar generiert, doch die Anzahl der geschlechtersensiblen Studien sei immer noch überschaubar, wodurch nur wenig davon in den medizinischen Leitlinien landet. Es ist der Wissenschaft somit zu teuer und zu aufwändig und die Präferenz für männliche Probanden wird unter anderem mit dem Verweis auf den Contergan-Skandal der 60er Jahre und der Notwendigkeit, ungeborenes Leben zu schützen begründet.
Die meisten Medikamente und Krankheiten wurden in der Vergangenheit an Männern erforscht, obwohl sich Wirkung und Nebenwirkungen der Arzneimittel bei Frauen teilweise deutlich unterscheiden – oft zu ihrem Nachteil.
Geschlechterunterschiede müssen daher bei der Dosierung von Medikamenten berücksichtigt werden. Nicht nur wegen des Gewichts: So braucht eine Tablette für den Weg durch Magen und Darm einer Frau circa doppelt so lange wie bei einem Mann. Auch der Abbau von Wirkstoffen in der Leber dauert länger. Zudem haben vor allem ältere Frauen eine deutlich schlechtere Nierenfunktion als gleichaltrige Männer. Entsprechend sollte die Medikamentendosis angepasst werden.
Die große Mehrzahl der laufenden klinischen SARS-CoV-2- und COVID-19-Studien bezieht Geschlechtsunterschiede bei den Studienteilnehmern zu wenig oder gar nicht ein. Frauen und Männer sind von einer Coronaerkrankung unterschiedlich betroffen, betont die Wissenschaft. Bei den Covid-Vakzinen etwa seien Geschlechterunterschiede in den Nebenwirkungen nicht dargestellt worden.
Außerdem bestehe ein Zusammenhang zwischen der sozialen Geschlechterrolle und der Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Virus anzustecken. Dementsprechend steigt das Ansteckungsrisiko von Frauen, weil sie häufiger als Pflegekräfte tätig seien und in Berufen mit viel Kundenkontakt arbeiteten. Das zeigt: Gender (soziales Geschlecht) und Geschlecht (biologisch) müssen in klinischen Studien und in der Gesundheitspolitik berücksichtigt werden.
Es sollte insgesamt für die Forschung gelten: Biologische Unterschiede sollten bereits bei der Entwicklung neuer Medikamente, Impfstoffe und Therapien sofort im Blickfeld sein!
Wir müssen wissen: Wirkt ein Impfstoff oder wirken Medikamente bei Männern anders als bei Frauen? Brauchen Frauen eine andere Dosierung?
Das Geschlecht der Frau oder eben andere Geschlechter, die nicht den cis männlichen biologischen Mann entsprechen, werden nicht nur weniger in den einzelnen Forschungsgebieten betrachtet, auch die Anzahl der Forscher:innen in deutschen Unternehmen lagen 2019 mal gerade bei 15 Prozent.
In der Medizin gilt der junge männliche Körper als Norm, was auch in Anatomie Büchern sichtbar ist, wo ausschließlich Männerkörper abgebildet sind.
Soweit es die Humanmedizin betrifft, ist die Vermittlung von geschlechtersensiblen Wissen an den Universitäten leider absolut unzureichend. Es würden in 70,4 Prozent der medizinischen Fakultäten in Deutschland Medizinstudent:innen nur punktuell in einzelnen Lehrveranstaltungen auf die Geschlechterunterschiede bei Krankheiten, Symptomen und Therapien aufmerksam gemacht.
Ursachen dafür sind laut den Fakultäten häufig eine mangelnde Bereitschaft beziehungsweise ein geringes Problembewusstsein sowie die fehlende Qualifizierung der Lehrkräfte.
Die Perspektive darf sich nicht auf Verbesserungen im Rahmen des Kapitalismus beschränken, da die Kapitalisten ein doppeltes Interesse am der Erhaltung des Patriarchats und der Profitmaximierung im Gesundheitswesen haben.
Folglich kann nur der Kampf gegen Sexismus und Frauenunterdrückung Aussicht auf substantiellen Erfolg haben, der auch gegen das kapitalistische System gerichtet ist.
Diese große Aufgabe kann nur in Verbindung mit Klassenkämpfen der Arbeiter:innen geleistet werden. Diese Klassenkämpfe müssen zum Ziel haben, eine Profit losgelöste Forschung, Versorgung und Gleichberechtigung in der Medizin zu erkämpfen.
Medizinische Infrastruktur muss staatlich, ohne Kostendruck und für alle Menschen erreichbar sein. Präventionsangebote, Aufklärung, Empowerment über Gendermedizin müssen ein Teil des Prozesses innerhalb von Arbeitskämpfen sein. Wir brauchen Streiks und kämpferische Gewerkschaften, die Frauenkämpfe mit Arbeitskämpfenverbinden.
Arbeitskämpfe dürfen nicht losgelöst werden vom Frauenkampf, denn Klassenkampf ist gleich Frauenkampf.